Interview mit Dafi Kühne (*1982) im Juli 2024. Die Fragen stellte Claudia Demel
Du bist dieses Jahr Ehrengast an der Frauenfelder Buch- und Druckkunst-Messe, worüber wir vom Organisationskomitee uns riesig freuen. Kannst Du Dich und Deine Arbeit unserem Publikum vorstellen? Was erwartet uns?
Ich bin Plakatgestalter und Buchdrucker. Die Gestaltung der Plakate entsteht zum Teil am Computer in Verbindung mit analogen Werkzeugen. Die Produktion findet schlussendlich immer auf Buchdruckpressen statt. Meine zum Teil grossformatigen Plakate (bis Weltformat 89.5x128cm) werden oftmals in mehr als 10 Druckdurchgängen produziert, und das bei Auflagen zwischen 200 und 800 Stück.
An der Messe in Frauenfeld werde ich auf einem grossen Tisch meine Arbeiten und Prozesse präsentieren.
Du bezeichnest dich als Gestalter und Buchdrucker. Auch Designer, Grafiker, Künstler würde passen. Gibt es eine Zuschreibung, mit der du dich schwertust?
Ja, ich bezeichne mich als Gestalter, weil ich ein Bachelor- und ein Masterstudium in Gestaltung gemacht habe. Das ist immerhin eine 3-jährige Vollzeitausbildung und dann noch eine 2-jährige Teilzeitausbildung in Gestaltung. Das ist also, was ich gelernt habe und nunmehr seit 15 Jahren praktiziere. Den Buchdruck konnte zu dem Zeitpunkt meiner Ausbildung leider nicht mehr klassisch lernen. Ich musste mir also in Eigenregie einen Lehrplan zusammenstellen. Durch Kurse, Praktika, Lektüre und Gespräche mit alten Setzern und Druckern (in dem Falle meist Männer) habe ich mir das Wissen angeeignet. Dieses Wissen wurde aber dann dadurch erweitert, dass ich mich intensiv mit neuen Werkzeugen (z. B. Lasercuttern), Materialien und Prozessen auseinandergesetzt habe und diese in meine Arbeit integriert habe.
Inzwischen betreibe ich den Buchdruck seit rund 15 Jahren hauptberuflich. Von daher scheint mir die Berufsbezeichnung «Gestalter und Buchdrucker» adäquat — oder noch spezifischer: «Plakatgestalter und Buchdrucker».
Die Bezeichnung «Künstler» ist für mich nicht passend, weil ich ja normalerweise kommerzielle gestalterische Aufträge umsetze. Die meisten meiner Arbeiten sind Dienstleistungsaufträge für den Kulturbereich. Aber ich verstehe auch, dass für viele Betrachter:innen die Bezeichnung Grafiker oder Gestalter eher nach Umsetzungsgrafik klingt. Das treffendere Label für meine Arbeit wäre Autorengrafik. Und wenn dann für manche Menschen die Schublade Künstler besser passt, ist das für mich kein Problem. Dann bin ich für sie gerne Plakatkünstler oder Buchdruckkünstler.
Du bewegst dich zwischen der analogen und digitalen Welt. Woher die Faszination für das eine und das andere und den Mix aus beidem?
Analoge und digitale Werkzeuge sind für mich grundsätzlich gleichwertig. Egal in welcher Form, ich verstehe die Arbeitsmittel als Verlängerung meiner Hände und Übersetzungswerkzeuge meiner Ideen. Ob digital oder analog, jedes Werkzeug verlangt spezifische Fertigkeiten und Erfahrungswerte. Bei analogen Werkzeugen sind diese Erfahrungswerte physisch und erfordern direkte handwerkliche Fähigkeiten, bei digitalen Werkzeugen sind Prozesskenntnis und gezielter Einsatz von Tools gefordert. Je nach Aufgabe eignen sich analoge oder eben digitale Mittel – und oft sind es Kombinationen. Ein kategorischer Einsatz der einen oder anderen Technik führt meiner Meinung nach nicht zum bestmöglichen Resultat. Unabhängig davon ob analog oder digital verwende ich bei jeder Aufgabe die geeignetsten Werkzeuge in Kombination.
Der Klassiker aller Fragen: Hattest du schon als Kind einen Faible für das Gedruckte?
Eigentlich nicht. Als ich ein Kind war, war die Welt gedruckt und noch kaum digital. An den alltäglichen Druckprodukten um mich herum hatte ich kein spezielles Interesse. Ich glaube, mein Interesse am Druck ist auf mein Interesse an guter Gestaltung zurückzuführen. Und dieses Interesse schärfte sich erst während meines Studiums.
Was ist ein richtig gutes Plakat?
Ein Plakat ist immer einem räumlichen und zeitlichen Kontext sowie einem Zielpublikum zugeordnet. Ich arbeite ja hauptsächlich mit typografischen Plakaten. Also Plakate, die rein mit Schrift funktionieren. Die Frage, was ein gutes typografisches Plakat ist, lässt sich ohne den Kontext nur bedingt beantworten, vielmehr muss man wissen, wann, wo, wofür und für wen das Plakat hängen soll. Ohne diesen Hintergrund wirkt ein Plakat auf den ersten Blick vielleicht schwierig oder unverständlich. Als Beispiel: Ein Plakat für ein Punkkonzert hat ein spezifisches Zielpublikum. Es will Menschen ansprechen, die laute Gitarrenmusik mögen und Konzerte besuchen, die abends an einem düsteren Veranstaltungsort stattfinden. So ein Plakat ist vielleicht auch visuell laut, düster, intensiv, mehrheitlich schwarz und verwendet vielleicht verfremdete Schriften. Die Lesbarkeit ist auf das Zielpublikum zugeschnitten, und diese Konzertbesucher:innen haben eine hohe Toleranz für verzerrte Formen und eine eher laute Ästhetik. Im Vergleich dazu hat ein Plakat für eine Sonntags-Matinée ein ganz anderes Zielpublikum. Es wirkt vielleicht etwas leichter, ist vielleicht etwas bunter und in Bezug auf die Lesbarkeit gelten andere Prioritäten. Und so ist der Kontext entscheidend für die Beurteilung eines Plakates. Für mich ist auf einem typografischen Plakat die Verwebung von Nachricht und visueller Sprache zentral. Wenn der Inhalt — bleiben wir beim Beispiel des Punkkonzerts — auf dem finalen Plakat spürbar wird, wenn man die Intensität der Musik zu spüren beginnt und wenn das Plakat ganz bestimmt nicht an eine Sonntags-Matinée denken lässt, dann funktioniert’s. Ein gutes Plakat ist also nicht gleichzusetzen mit den persönlichen Präferenzen von Gestalter:innen — es ist kein persönlicher Gestaltungsstil. Es sind auch nicht unbedingt persönliche Präferenzen von Kund:innen. Denn die Form ergibt sich aus dem Inhalt — natürlich in Absprache mit den Kund:innen. Es muss verständlich sein — zumindest für das Zielpublikum — es wirkt anziehend, darf aber zum Teil auch kryptische Aspekte haben. Sprich: Es muss nicht auf den allerersten Moment alles klar sein. Die Informationsebenen dürfen sich nach und nach entfalten. Das macht für mich ein spannendes Plakat aus.
Und wie müssen dabei grafische Elemente, Schrift und Farbe zusammenspielen?
Schriftwahl, Layout, Farbe, Papierwahl und Drucktechnik unterstützten das Gestaltungskonzept. Auch hier geht es um die Verbindung zum Inhalt. Sind die Farben harmonisch oder beissend? Ist die Reproduktionstechnik präzise oder rau? Wird das Papier gekleistert oder gefalzt, gerollt oder gerahmt? Werden diese Entscheidungen zu Gunsten des Gestaltungskonzeptes (und nicht in erster Linie zu Gunsten des Budgets) getroffen, kann das gedruckte Plakat nochmals an Aussagekraft gewinnen.
Was ist, abgesehen von der Idee, das Wichtigste im Prozess zum fertigen Produkt?
Die Idee selbst ist ein Prozess. Es ist also nicht so, dass meine Konzepte einfach so im Kopf entstehen. Die Recherche ist ein zentraler Prozess, in dem ich mich mit dem Inhalt auseinandersetze. Ich besuche eine Ausstellung, schaue eine Dokumentation, höre mir die Musik an, lese ein Buch und mache eine Onlinerecherche zum Thema. Auch die Wortwahl für ein typografisches Plakat ist nicht von Kund:innenseite gegeben. Ich suche also auch lange nach den passenden Begriffen, Synonymen und spannenden Wortkombinationen für das schlussendliche Plakat. Dieser Prozess der Ideenfindung ist definitiv zentral in der Entwicklung eines Konzepts und der wichtigste Teil meiner Plakatgestaltung. Und Inspirationen dafür finden sich überall.
Du lehrst an verschiedenen Schulen. Begeistert sich die heutige Generation noch für traditionelle Buch- und Druckkunst? Steht das auf dem Stundenplan?
Der Buchdruck ist zum einen ein wichtiges Lehr- und Lernwerkzeug, um die Grundlagen unseres noch heute angewandten typografischen Masssystems, die Detailtypografie sowie das Zusammenspiel und die Konstruktion von bedrucktem und unbedrucktem Raum zu verstehen. Das physische Verständnis ist zentral und ermöglicht später auch einen freieren Umgang mit Schrift. Somit haben bewegliche Lettern einerseits eine grosse Bedeutung für die Ausbildung, nämlich als Lehr- und Lernwerkzeug; andererseits gibt es ein gestalterisches Potential, das in den technischen Einschränkungen des Bleisatz-Systems liegt. Und wie in vielen anderen Gestaltungsfeldern können Restriktionen die Kreativität stimulieren.
Die Verlangsamung des Arbeitsprozesses, die durch die manuelle Drucktechnik bedingt ist und zudem die Notwendigkeit, sorgfältiger zu planen, führen zudem dazu, dass man Entscheidungen bewusster fällt. Diese zwei Faktoren spielten in meiner persönlichen Ausbildung eine grosse Rolle, aber auch heute, in meiner Lehrtätigkeit sowie in meiner täglichen Praxis mit Schriften sind sie wichtig. Und dafür sind der Erhalt und die weitere Anwendung der traditionellen Drucktechnik für mich auch essentiell.
Andererseits muss man auch sagen, dass man nicht nur mit traditionellen Mitteln diese Werte vermitteln kann. Und gerade für die Praxis junger Gestalter:innen ist es auch wichtig, den Bogen zu der aktuellen Gestaltung und den digitalen Medien zu spannen.
Mit welchen Werkzeugen arbeitest du?
Momentan arbeite ich mit rund 40 Tonnen Equipment in meinem Atelier. Darunter sind 6 Druckmaschinen, rund 25 Korpora an Handsatzschriften, ein Ludlow-Gussapparat für Titelsatzschriften, ein Pantograph für die Anfertigung von Holzschriften, ein Lasercutter zur Anfertigung von gravierten Druckplatten ab digitalen Daten, ein Photopolymer-Belichter und etliche Kleinwerkzeuge.
Du stellst aus, gewinnst nationale und internationale Preise. Wo verorten sich deine Arbeiten im breiten Spektrum der Kunst?
Meist finden sich meine Arbeiten im Kontext von aktueller Plakatgestaltung und messen sich somit oftmals auch mit digitaler Gestaltung, hochwertigen Siebdruckproduktionen oder sogar mit digitalen Animationen. Etwas weniger oft findet man meine Arbeiten in der Druckgrafik, dafür sind meine Auflagen eher zu hoch und meine Aufträge oft zu kommerziell. Und auch nur zum Teil in der Buchdruckszene, da für Buchdruck-Purist:innen meine Plakate manchmal etwas zu experimentell sind. Somit finden sich meine Plakate meist in der Nische zwischen aktueller Plakatgestaltung und hochwertiger Druckproduktionen wieder.
Manchmal gewinnt man den Eindruck, im zunehmend Digitalen verliere das traditionelle grafische Handwerk an Bedeutung. Muss es gerettet werden?
Ich bin da relativ unverkrampft und sehe die Rettung des Handwerks nicht als meine zentrale Aufgabe. Ich betreibe Handwerk, weil für meine Arbeit eine Schnittstelle zwischen digitalen Gestaltungswerkzeugen und der analogen Welt benötigt wird. Und für mich macht es Sinn, das Beste aus der analogen und der digitalen Welt zu verbinden. Wenn junge Menschen sich davon inspirieren lassen und diese Art von Arbeit auch in Zukunft betreiben möchten, dann lohnt es sich, dieses Handwerk zu retten. Und ich leiste sicherlich meinen Teil in dieser Vermittlung. Es gingen immer wieder Berufsgattungen und ganze Handwerkszweige verloren. Das ist nichts Neues. Und wir haben genügend Museen und Kunsthandwerkbetriebe, die irgendein Handwerk dokumentieren und so zumindest zum Teil am Leben halten. Aber wir können auch nicht Handwerke erhalten, für die es keine Nachfrage mehr gibt. Und die Nachfrage kommt für mich aus der Gestaltung, und nicht dem reinen Wunsch, ein Handwerk am Leben zu erhalten.
Herzlichen Dank für das Interview!
Mehr zu Dafi Kühne finden Sie auf seiner Webseite: www.babyinktwice.ch